Düsterschöne Verzweiflung
Neben dem «Schweizer Holz Trio» überzeugte die Performance «Lost» durch ihre schockierend-ehrliche Darstellung.
Eine unbewegliche, an eine alte, kopflose Schaufensterpuppe erinnernde Gestalt, eingehüllt in einen schwarzen Mantel stand Rücken nach vorne im Halbdunkel des hinteren Bühnenraumes, anfänglich kaum beachtet vom zahlreich erschienene Publikum, das endlich Punkt Acht Uhr in die ehemalige Industriehalle der Imprimerie Basel eingelassen wurde. Als dann wenig später der Schlagzeuger Sheldon Suter die vom Forum für Improvisierte Musik und Tanz präsentierte Performance mit dem Titel «Lost» eröffnete und seiner große Standtrommel mit einem Violinbogen ein giftiges Kratzen zu entlocken begann, fing die Figur im Hintergrund an sich zu bewegen. Musikalisch zusätzlich begleitet vom frei improvisierenden Trompeter und Sounddesigner Marco von Orelli schoben unendlich langsam die verkrümmt wirkenden Beine die anonyme Gestalt mit einer lethargischen Drehung nach vorne ins spärliche Licht, wo sich schliesslich der Körper der Tänzerin und Performerin Flavia Ghisalberti in seiner ganzen furchterregenden Schönheit präsentierte.
Gleichsam wie in zähflüssiges Glas eingegossen und mit spastisch verkrümmt wirkenden Gliedmassen begann die Tänzerin mit einem fast gänzlich entblösten, in einem hellen, schmutzigen Grau geschminkten, extrem verletzlich wirkenden Körper einen mit schauspielerischen und pantomimischen Elementen durchsetzten ‚Zeitlupen-Tanz’, der nahezu die gesamte Palette menschlicher Tragik und Leidens zum Ausdruck brachte und an erbarmungsloser Brutalität, dunkler Anmut, abgrundtiefer Verzweiflung und düsterer Erotik kaum zu überbieten war. Eine schockierend eindrückliche Darstellung des hilflosen Geworfenseins des Menschen in eine gnadenlose Welt, die keinen im Publikum kalt liess, war man doch zwischen abscheuerregendem Degout und größter Faszination hin und her gerissen.
Geradezu erholsam dann der zweite Teil des Konzerts, als das «Schweizer Holz Trio» bestehend aus drei gestandenen Kämpen der Schweizer Jazz- und Frei Improvisierten Musik-Szene, der Bassklarinettist Hans Koch (Koch, Schütz, Studer), der Sopran- und Tenorsaxophonist Urs Leimgruber (OM, Arte Saxophon Quartett) und der Altsaxophonist Omri Ziegele (Billiger Bauer) mit einer hemmungslosen Frische drauflos zu improvisieren begannen. Von sensibel zart bis extrem hart wurden von den drei Musikern sämtliche Möglichkeiten der Geräusch- und Tonerzeugung ihrer Instrumente ausgelotet. Da wurde geschnalzt, geslapt, geknurrt, gequiekt, dass es eine Freude war; Balsam für eventuell vorausgegangene seelische Blähsuren.
Erschienen in der Basellandschaftlichen Zeitung