Herzzerreissender Schmerzensschrei
Gemeinsam mit dem Violinvirtuosen Gideon Kremer interpretierte das Sinfonieorchester Basel Musik des wenig bekannten Komponisten Rudi Stefan.
Am 29. September 1915 fiel im 1. Weltkrieg an der Ostfront in Galizien der gerade mal 28jährgie Rudi Stephan, der schon zu seinen Lebzeiten als einer der talentiertesten deutschen Komponisten seiner Generation galt. Dass diese Einschätzung bis heute ihre Gültigkeit hat, konnte man anlässlich eines Konzerts des Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von Heinrich Schiff im Stadtcasino Basel erfahren, wo Stephans Musik für Geige und Orchester in einem Satz (1913) mit dem deutschen Violinisten Gideon Kremer als Solisten zu Gehör gebracht wurde.
Neben einiger Kammermusik, ein paar kleineren, sinfonischen Werken und der Oper «Die ersten Menschen» war die Musik für Geige und Orchester eine der wenigen Kompositionen, die Stephan in seinem kurzen Leben vollenden konnte. Ausgehend von der klassischen Dur-Moll-Harmoik bewegte sich diese Musik zwischen der Spätromantik eines Max Regers oder Gustav Mahlers, dem Expressionismus eines Franz Schreckers und der freien Tonalität des frühen Schönbergs. Mal mystisch-zart und sphärisch, mal in intensiven Klangfarben badend, dann wiederum in abweisend-harten Dissonanzen schwelgend bewegte sich diese anrührende Musik durch die ganze emotionale Palette musikalischer Klangmöglichkeiten, die die Kompositionstechnik nach der Jahrhundertwende zur Verfügung stellte. Besonders passend zu dieser emotional aufgeladenen Musik war der ungemein warme, volle Ton von Gideon Kremers Nicola Amati-Geige. Mit fesselndem Gestaltungssinn entlockte der Solist seinem Instrument fein schattiert Stimmungen, wobei er auch vor sentimentalen Gesten nicht zurückschreckte.
Ein weiteres Werk, das an diesem Abend auf dem Programm stand, war Franz Schuberts (1797-1828) Sinfonie in h-Moll, D 759, die «Unvollendete». Mal zart beschwingt, mal beherzt zupackend interpretierte das Orchester den ersten, mit Allergro moderato überschriebenen Satz. Mit dem musikalischen Fluss präzise angepassten Akzentuierungen und feinfühligen dynamischen Abstufungen wiederum erklang das abschliessende Andante con moto.
Als letztes Werk interpretierte das Sinfonieorchester Basel das Adagio aus Gustav Mahlers (1860-1911) Torso gebliebenen 10. Sinfonie. Nahezu fehlerfrei und nicht ohne emotionalen Gehalt spielte das Orchester dieses anrührende Werk, wenngleich man steckenweise die unterschwellige Glut, die dieser Musik innewohnt, etwas vermisste. Immerhin aber wuchteten vor allem die Bläser den Schock auslösenden as-Moll-Dreiklang ab Takt 194 im vorgeschriebenen höchsten Fortissimo in den Konzertsaal und vor allem der anschliessende, clusterartig-dissonante, an einen herzzerreissenden Scherzensschrei erinnernden Neuntonakkord wurde mit dem passenden fiebrigen Furor gespielt.
Erschienen in der Basellandschaftlichen Zeitung