Im tiefsten Pianissimo
Gare du Nord – Das Berner Ensemble Proton interpretierte zeitgenössische klassische Musik von New Yorker Komponisten.
Eigentlich war kaum was zu hören, als das von Matthias Kuhn geleitete Berner Ensemble Proton das erste Stück seines Konzerts in der Gare du Nord zu spielen begann. Zwar strichen der Violinist und der Bratschist Marco Fusi mit schnellem Auf und Ab die Streichbogen über die Saiten ihrer Instrumente, aber hören konnte man praktisch nichts. Erst als Erik Asgeirsson mit seinem Violoncelle einsetzte, war im tiefsten Pianissimo eine kaum wahrnehmbare, melancholische Melodie zu hören. Zart und leise begannen dann die drei Saiteninstrumente ein filigran gewirktes Tonnetz zu spannen, in dessen Maschen die Pianistin Malgorzata Walentynowicz mit einem Clavichord silbrige, fast durchsichtige Töne einzuspinnen begann. Schliesslich stiess die Perkussionistin Louisa Marxen dazu, die mit einem originellen Sammelsurium an Schlaginstrumenten dem Geschehen immer mehr Dynamik verlieh. Neben weich getippte Trommeln und Pauken waren da sparsam eingesetzte Rasseln, Maracas und Tempelblöcke zu hören. Eine ungewöhnliche Atmosphäre aber schuf die Perkussionistin, wenn sie drei unkoordiniert tickende Metronome anstiess, mit den Händen geräuschvoll Baumzweige zerbrach oder mit den Füssen auf einem Haufen trockenen Laubes herumstampfte.
Möglicherweise waren beim Hören dieser zerbrechlich wirkenden Komposition mit dem Titel «Shibboleth» (1997) einige im Publikum erstaunt, dass dessen Schöpfer John Zorn (1953) war, der ab Ende der 1980er-Jahre mit seiner kompromisslosen Avantgardeband «Naked City» die Jazz und Rockszene aufgemischt hatte. Seit jenen Tagen allerdings hat John Zorn als Musiker und Komponist diverse Wandlungen durchgemacht, sich musikalisch mit seinem jüdischen Erbe auseinandergesetzt und neben unzähligen Film-Soundtracks Kompositionen für Orchester und diverse Ensembles geschrieben. Es war kein Zufall, dass das junge, in Bern domizilierte Ensemble Proton Musik von John Zorn in sein Programm «New York» in der Gare du Nord aufgenommen hatte, gehört dieser Komponist doch zu New Yorker Szene wie das Empire State Building.
Das Ensemble Proton, das sich auf die Interpretation zeitgenössischer klassischer Musik spezialisiert hat, brachte an diesem Abend noch zwei Werke des New Yorker Earle Brown (1926-2002) zur Aufführung. Den Abschluss des Abends aber bildete die Komposition «Piece» (1955) für Oboe, Cello, Perkussion und Piano des in Berlin geborenen, die meiste Zeit seines Lebens aber in New York lebenden Komponisten Stefan Wolpe (1902-1972). Das Werk zeichnete sich durch ein kontinuierliches Geflecht sich abwechselnder und polyphon durchdringender kurzer Figuren, Tonmotiven und Melodiebögen aus. Über vier Sätze hinweg wurde dieses Kompositionsverfahren jedoch kaum durchbrochen, was mehr und mehr zu Déjà -vu-Erlebnissen führte und schliesslich ein Gefühl der Monotonie aufkommen liess.